Interview mit Frau Lämmel (DAAB): Ernährung bei einer Kuhmilchallergie
Immer öfter hört man, dass ein Kind allergisch auf Kuhmilcheiweiß reagiert. Doch ist das tatsächlich so?
Wir haben Sonja Lämmel vom Deutschen Allergie- und Asthmabund e. V. (DAAB) gebeten, uns einige Fragen zu dieser Entwicklung und speziell zu Kuhmilchallergien zu beantworten.
Frau Lämmel, sind tatsächlich so viele Menschen von einer Allergie betroffen, und stimmt es, dass die Zahl in den vergangenen Jahrzehnten eher zugenommen hat?
Viele allergische Erkrankungen haben in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Rund 30 Prozent der Bevölkerung leiden mittlerweile unter einer Allergie. Reaktionen auf Lebensmittel sind allerdings im Vergleich zu Reaktionen auf Pollen oder Hausstaubmilben relativ selten.
Wie erklärt man sich diesen Anstieg allergischer Erkrankungen?
Leider sind die Ursachen für den Anstieg allergischer Erkrankungen noch nicht ausreichend erforscht. Die Veranlagung allergisch zu reagieren wird in den meisten Fällen vererbt, allerdings führt diese Veranlagung nicht zwangsläufig zu einer Allergie.
Ob ein Säugling allergisch reagiert, ist in erster Linie von der genetischen Disposition abhängig. Ein erhöhtes Risiko, eine atopische Erkrankung zu entwickeln (Asthma, Neurodermitis, Heuschnupfen oder Lebensmittelallergie) liegt vor, wenn ein oder beide Elternteile oder Geschwister eine dieser Erkrankungen haben. Wobei sich nicht die spezielle Erkrankung vererbt, sondern die Veranlagung dazu, eine dieser Erkrankungen zu entwickeln.
Von Säuglingen hört man häufig, dass sie auf Kuhmilcheiweiß allergisch reagieren. Wie äußert sich eine solche Kuhmilchallergie überhaupt?
Allergische Reaktionen zum Beispiel auf Kuhmilch können sich durch Hautausschläge, Juckreiz, Ekzeme, Bauchschmerzen, Blähungen, Übelkeit oder Erbrechen äußern. Im schlimmsten Fall kann es zu einer anaphylaktischen Reaktion kommen (Anm. d. Red.: Eine anaphylaktische Reaktion führt zu einem Zusammenbruch des Kreislaufsystems und ist die schwerste allergische Reaktion).
Was kann oder muss ich tun, wenn der Arzt bei meinem Kind eine Allergie auf Kuhmilcheiweiß festgestellt hat?
Die Diagnose einer Kuhmilcheiweißallergie im Säuglingsalter gehört in die Hände eines allergologisch spezialisierten Kinderarztes. Haut- und Bluttestungen sind nicht immer eindeutig, da sie nur eine Sensibilisierung anzeigen, also ob das Immunsystem Antikörper gegen Kuhmilch gebildet hat.
Wenn Ihr Kinderarzt oder Ihre Kinderärztin den Verdacht einer Kuhmilcheiweißallergie äußert, sollte eine Provokation mit Kuhmilch die Diagnose bestätigen. Das heißt, das Kind erhält unter ärztlicher Aufsicht das verdächtige Lebensmittel, auf das es allergisch reagieren sollte, in diesem Fall also Milch. Durch diese kontrollierte Gabe kann der Verdacht bestätigt oder entkräftet werden. Ist die Anamnese allerdings eindeutig (also es gab eine eindeutige Reaktion nach dem Verzehr von Milch oder milchhaltigen Lebensmitteln) und diese passt mit den Haut- und Bluttestungen zusammen, kann im Einzelfall auf eine Provokation verzichtet werden.
Nur nach einer eindeutigen Diagnose sollte eine langfristige Umstellung der Ernährung erfolgen, und sie sollte durch eine allergologisch geschulte Ernährungsfachkraft begleitet werden.
Welche Ersatzprodukte kann ich für die Speisenzubereitung nutzen?
Als Flüssigkeitsersatz für Kuhmilch dient Kokosmilch, Soja-, Reis-, Hafer- oder Mandeldrink. Diese Produkte können wie Milch zum Kochen und Backen verwendet werden.
Eltern sollten immer die Variante mit „Calcium angereichert“ bevorzugen. Diese Getreidedrinks bieten einen guten „küchentechnischen“ Ersatz; sie decken allerdings nicht den Nährstoffbedarf des Kindes.
Auf welche Nährstoffe muss ich jetzt besonders für mein Kind achten?
Die wichtigsten Nährstoffe in der Kuhmilch sind Kalzium, tierisches Eiweiß, Vitamin B2 und Jod.
Aus welchen anderen Quellen kann ich diese wichtigen Nährstoffe beziehen?
Kalzium ist der wichtigste Nährstoff, der bei Milcheiweißallergikern zu ersetzen ist. Während der Bedarf an Eiweiß, Vitamin B2 und Jod über andere Lebensmittel gedeckt werden kann, ist die ausreichende Versorgung mit Kalzium ohne Kuhmilch kaum durch andere Lebensmittel möglich.
Zwar enthalten einige Gemüsesorten, Hülsenfrüchte, Nüsse/Samen und Gartenkräuter nennenswerte Mengen von Kalzium, doch reichen sie in der Regel alleine nicht aus, um den Tagesbedarf an Kalzium zu decken.
Den Kalziumbedarf Ihres Kindes können Sie durch kalziumreiches Mineralwasser, kalziumreiches Gemüse (z. B. Spinat, Brokkoli) oder durch mit Kalzium angereicherte Sojadrinks decken. Auch die Einnahme eines Kalziumpräparates ist eine Möglichkeit.
Den Bedarf an Eiweiß können Sie über mageres Fleisch, Kartoffeln, Hülsenfrüchte und Getreideprodukte problemlos decken. Auch indem Sie pflanzliche Eiweißträger kombinieren, kann eine ausreichende Versorgung mit hochwertigem Eiweiß erzielt werden. Es können zum Beispiel Hülsenfrüchte mit Mais oder Hülsenfrüchte mit Getreide oder Brot kombiniert werden. Wenn Ihr Kind Hühnerei verträgt, kann auch das gerne als Eiweißquelle verwendet werden.
Vitamin B2 ist außer in Milch auch in Fleisch, Vollkornprodukten, Gemüse (besonders Brokkoli, Erbsen, Rosenkohl, Mais, Grünkohl, Fenchel, Endivien usw.), Kartoffeln und Weizenkeimlingen enthalten.
Jod kommt hauptsächlich in frischem Seefisch vor. Zusätzlich kann Jod in Form von jodiertem Speisesalz bei der Zubereitung von Speisen verwendet werden. Sprechen Sie mit dem Kinderarzt über eine eventuelle Gabe von Jodtropfen, wenn Ihr Kind Fisch nicht essen kann oder möchte.
Kann ich auch Stuten-, Ziegen- oder Schafsmilch einsetzen?
Die Milch dieser Tierarten wird nur von sehr wenigen Kindern mit Kuhmilcheiweißallergie vertragen. Die Eiweiße sind sehr ähnlich, so dass es trotzdem zu allergischen Reaktionen kommen kann. Sie sollten den Einsatz unbedingt zuvor mit Ihrem Arzt / Ihrer Ärztin und einer allergologisch versierten Ernährungsfachkraft besprechen.
Woher weiß ich, ob ein verpacktes Produkt – im Supermarkt zum Beispiel – Milch enthält?
Jedes abgepackte Produkt im Supermarkt muss ein Zutatenverzeichnis aufweisen. In dieser Aufstellung sind alle verarbeiteten Zutaten in absteigender Reihenfolge verzeichnet. Milch muss neben 13 weiteren Allergieauslöser immer im Zutatenverzeichnis aufgeführt und durch zum Beispiel Fettdruck hervorgehoben werden.
Wie erfahre ich beim Bäcker oder Metzger, ob die Produkte Milch enthalten?
Brot, Brötchen und Wurstwaren aus diesen Geschäften fallen unter die Bezeichnung „lose Ware“. Hier ist ebenfalls eine Kennzeichnung der Allergieauslöser verpflichtend. Fragen Sie an der Bedienungstheke nach der Kladde oder der Information zu den Allergieauslösern.
Kinder mögen meist besonders gern Süßigkeiten. Welche kuhmilchfreien Süßigkeiten gibt es? Gibt es auch eine Schokolade ohne Milch?
Es gibt eine Reihe von süßen Waren, die ohne Kuhmilch hergestellt sind. Hierzu gehören zum Beispiel folgende Produkte:
- Milchfreie Puddingpulver, die Sie mit einem Milchersatz anrühren können,
- Fruchtgrützen, Wackelpudding,
- Gummibärchen, Weingummi, Lakritze,
- Fruchtlutscher, Fruchtbonbons, Traubenzuckerbonbons,
- Wassereis, Sorbet,
- selbstgemachtes Fruchteis,
- milchfreie Schokolade, meist herbe oder zartbittere Sorten,
- milchfreie Plätzchen (Spezialprodukte im Bioladen oder Reformhaus).
Wird mein Kind die Allergie gegen Kuhmilcheiweiß sein ganzes Leben lang behalten?
Je früher eine Allergie auftritt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind diese wieder verliert. Es sollte deshalb alle ein bis zwei Jahre ärztlich überprüft werden, ob die Allergie noch besteht und eine Diät notwendig ist.
Sollte die ganze Familie Milchprodukte meiden, damit es dem Kind nicht so schwer fällt, darauf zu verzichten?
Je nach Alter sollte das Kind lernen, mit seiner Allergie umzugehen. Gerade im Kindergarten und in der Schule wird es mit Situationen konfrontiert, in denen andere Kinder Milchprodukte essen. Es ist sinnvoll, das Kind so früh wie möglich eigenverantwortlich handeln zu lassen.
Welche Informationen und Hilfestellungen bietet der Deutsche Allergie- und Asthmabund zu diesem Thema an?
Der DAAB bietet allgemeine Informationen, Artikel und speziell für Mitglieder Listen (Ausgewogene Ernährung ohne Milcheiweiß), Marktchecks zu Allergikerprodukten, Webinare, Einkaufsratgeber, Rezepte und individuelle Beratung rund um das Thema Lebensmittelallergien an.
Können Sie abschließend noch in einigen kurzen Sätzen sagen, was generell die Aufgaben und Ziele des Deutschen Allergie- und Asthmabundes sind?
Der Deutsche Allergie- und Asthmabund e. V. (DAAB) wurde bereits 1897 gegründet und arbeitet nun seit über 120 Jahren als Patientenorganisation für Menschen mit Allergien, Asthma, COPD, Neurodermitis, Urtikaria (Nesselsucht) und Lebensmittelunverträglichkeiten.
Der DAAB setzt sich für die Betroffenen ein, zum Beispiel in der Politik, bei Krankenkassen oder in Unternehmen. So konnten in den letzten Jahren wichtige Erfolge sowohl in der Gesundheitspolitik wie auch bei der verbesserten Deklaration von Kosmetika und Nahrungsmitteln erzielt werden.
Darüber hinaus finden Betroffene beim DAAB neutrale Berater, Hilfe und konkrete Vorschläge sowie Tipps für den Alltag. Mitglieder werden gezielt zu ihren persönlichen Fragen beraten und können direkt von dem Fachwissen der hauptamtlichen wissenschaftlichen Beratungsexperten und den Erfahrungen profitieren, die jährlich im Austausch mit über 50.000 Betroffenen gesammelt werden.
Das Gespräch wurde im Januar 2018 geführt.